Salem Art Works, NY
In der Frühe
aufgewacht mit dem Bild des Sägeblatts
blutrot
griff es nach der Mutter und
ließ sie wieder
frei.
Early in the morning
awoke with the image of a saw blade
blood red
it reached out towards mother and
let her go again
free.
Ost-Pakistan, 1968
Sie sind neunzehn und fallen auf. Der Deutsche und sein englischer Freund. Gemeinsam bereisen sie Ostpakistan. Es ist heiß. Es ist Bürgerkrieg. Sie haben gerade das Abitur geschafft. Vor dem Studium wollen sie die Welt bereisen. Den Osten. Dort gibt es keine Fremden. Dort sollten sie auch nicht sein. Das Abenteuer lockt. Sie sitzen in einem Zug. Das Abteil ist voll. Die bunt gekleideten Menschen reden miteinander oder schauen auf den Boden. Der schwache Fahrtwind trägt die unterschiedlichsten Gerüche durch die Fensteröffnungen. Es riecht nach Feuer und exotischen Gewürzen, nach Wald und Diesel. An einer Siedlung bremst der Zug, bleibt dann ruckartig stehen. Ein Mädchen steigt ein. Die Menschen im Zug drehen sich weg, als käme eine böse Erscheinung ins Abteil. Er schaut sie an, denkt, sie könnte vierzehn sein, aber sie hat ein Baby auf dem Arm. Vielleicht ist sie auch älter. Ihr Kleid aus Sackleinen ist eher ein Hemd. Es ist fadenscheinig, durchsichtig, sie ist mager, aber dort ist sie schön. Man sieht alles. „Sollen wir ihr ein wenig Geld geben?“, fragt er leise. Der Freund schüttelt den Kopf: „Warten wir ab, bis sie bei uns ist.“ Eine Frau steht auf. Sie ist groß und dick, stemmt zuerst die Hände in die Hüften, nimmt dann mit diesen Händen das Mädchen mit dem Baby und wirft beide durch die Türöffnung hinaus. Blitzartig. Die Menschen drehen sich in eine normale Sitzhaltung zurück. Zollen der Frau, die schon wieder sitzt, Beifall, nehmen ihre Gespräche auf, wie zuvor. Das fliegende Mädchen wird den Deutschen sein Leben lang begleiten.
Interview, Bangladesch, Februar 2016
SIE antwortet
SIE spricht englisch
SIE lächelt ihrem Mann zu
ER trägt das Kind und beobachtet sie
ER versteht die Worte aus ihrem Mund nicht
SIE ist eine Ikone für die Mädchen, die am Strand surfen
SIE war die beste Surferin im ganzen Land
ER hat sie geheiratet
SIE wird nicht mehr aufs Surfbrett steigen
SIE ist jetzt Ehefrau und Mutter
SIE lächelt in die Kamera
SIE zeigt dem Kamerateam, wo sie früher täglich trainierte
SIE erzählt von ihren Erfolgen, vom Gefühl, von den Wellen getragen zu sein
SIE wird von der Erinnerung weggetragen, der Silberschmuck an ihrem Kopftuch klimpert
SIE dreht ihr Gesicht zur Seite und lächelt ihren Mann an
ER wird sie besteigen, sooft er will
SIE wird Kinder bekommen, eins nach dem anderen
SIE darf nicht mehr surfen
ES gehört sich nicht für eine Ehefrau
ER fragt sich, ob seine Frau etwas sagt, das gegen das Gesetz, sein Gesetz, ist
SIE sagt der Reporterin aus der Fremde, dass sie oft an diesen Strand kommt
SIE sagt, dass sie weggehen wird, irgendwann, wenn die Zeit reif ist
SIE nimmt ihrem Mann das Kind ab und verlässt an seiner Seite den Strand
ER scheint zufrieden und nickt dem Kamerateam zu
SIE lächelt.
Zwei Boote
Kurz vor dem Untergang. So sieht es aus. Die fremde Frau sagte mir: Diese Boote lagen schon im letzten Jahr hier. Ein Dauerzustand. Du und ich. Du wolltest ein Wir und ich wollte mehr. Und jetzt taucht dieses ‚weißt-du-noch‘ auf. Diese Zeitform, die es zu analysieren gilt. Für Dich und für mich und diese Welt, die global geworden ist, so sehr, dass wir uns nicht mehr rausreden können, dass wir Farbe bekennen müssen – nein, wollen, um uns vor dem Untergang zu retten. Du wolltest mit mir segeln, und ich bin nicht eingestiegen, habe deine Segeljacht verschmäht. Wer weiß, vielleicht hätte sie uns weggetragen. Dorthin, wo es gut gewesen wäre.
Wir haben zwei getrennte Boote bestiegen. Sie sind gestrandet, liegen am See, vertäut, aber immer noch brauchbar. Keine Angst vor der Zukunft. Immer wieder können wir die Boote vom Wasser befreien. Wie Sisyphos, der freudige Bergsteiger. Jeder Aufstieg neu und aussichtsreich. Also nehme ich die Schöpfkelle, leere die Boote, ziehe dich und dein Boot mit mir. Du hattest mir Atlantis versprochen, ich werde es für uns finden. Also: Leinen los!
Susanne I
Der Vater ging danach nicht mehr über die Grenze. Nicht mehr in Richtung Frankreich. Das war das Einzige, was er dazu sagte. Nur einmal ergänzte er, dass er in der Nähe der Loire gewesen sei. Vier Jahre Gefangenschaft nach kurzer Kriegszeit. Der Krieg. Siebzehn war er und krank sei er geworden. Diphterie habe er bekommen. Das war ein Glück, sagte er. So entkam er dem Töten.
Später würde er die politische Mitte suchen. Er fürchtete sich davor, dass die Demokratie verloren gehen könnte, wie damals. Nie wieder Krieg, das war ihm wichtig. Und nie wieder nach Frankreich. Die Grenze war nicht fern. Er fand eine Frau. Sie war eine Heimatvertriebene. Seine Tochter Susanne würde auf dem Gymnasium Latein statt Französisch wählen.