Interview, Bangladesch, Februar 2016
SIE antwortet
SIE spricht englisch
SIE lächelt ihrem Mann zu
ER trägt das Kind und beobachtet sie
ER versteht die Worte aus ihrem Mund nicht
SIE ist eine Ikone für die Mädchen, die am Strand surfen
SIE war die beste Surferin im ganzen Land
ER hat sie geheiratet
SIE wird nicht mehr aufs Surfbrett steigen
SIE ist jetzt Ehefrau und Mutter
SIE lächelt in die Kamera
SIE zeigt dem Kamerateam, wo sie früher täglich trainierte
SIE erzählt von ihren Erfolgen, vom Gefühl, von den Wellen getragen zu sein
SIE wird von der Erinnerung weggetragen, der Silberschmuck an ihrem Kopftuch klimpert
SIE dreht ihr Gesicht zur Seite und lächelt ihren Mann an
ER wird sie besteigen, sooft er will
SIE wird Kinder bekommen, eins nach dem anderen
SIE darf nicht mehr surfen
ES gehört sich nicht für eine Ehefrau
ER fragt sich, ob seine Frau etwas sagt, das gegen das Gesetz, sein Gesetz, ist
SIE sagt der Reporterin aus der Fremde, dass sie oft an diesen Strand kommt
SIE sagt, dass sie weggehen wird, irgendwann, wenn die Zeit reif ist
SIE nimmt ihrem Mann das Kind ab und verlässt an seiner Seite den Strand
ER scheint zufrieden und nickt dem Kamerateam zu
SIE lächelt.
Zwei Boote
Kurz vor dem Untergang. So sieht es aus. Die fremde Frau sagte mir: Diese Boote lagen schon im letzten Jahr hier. Ein Dauerzustand. Du und ich. Du wolltest ein Wir und ich wollte mehr. Und jetzt taucht dieses ‚weißt-du-noch‘ auf. Diese Zeitform, die es zu analysieren gilt. Für Dich und für mich und diese Welt, die global geworden ist, so sehr, dass wir uns nicht mehr rausreden können, dass wir Farbe bekennen müssen – nein, wollen, um uns vor dem Untergang zu retten. Du wolltest mit mir segeln, und ich bin nicht eingestiegen, habe deine Segeljacht verschmäht. Wer weiß, vielleicht hätte sie uns weggetragen. Dorthin, wo es gut gewesen wäre.
Wir haben zwei getrennte Boote bestiegen. Sie sind gestrandet, liegen am See, vertäut, aber immer noch brauchbar. Keine Angst vor der Zukunft. Immer wieder können wir die Boote vom Wasser befreien. Wie Sisyphos, der freudige Bergsteiger. Jeder Aufstieg neu und aussichtsreich. Also nehme ich die Schöpfkelle, leere die Boote, ziehe dich und dein Boot mit mir. Du hattest mir Atlantis versprochen, ich werde es für uns finden. Also: Leinen los!
Susanne I
Der Vater ging danach nicht mehr über die Grenze. Nicht mehr in Richtung Frankreich. Das war das Einzige, was er dazu sagte. Nur einmal ergänzte er, dass er in der Nähe der Loire gewesen sei. Vier Jahre Gefangenschaft nach kurzer Kriegszeit. Der Krieg. Siebzehn war er und krank sei er geworden. Diphterie habe er bekommen. Das war ein Glück, sagte er. So entkam er dem Töten.
Später würde er die politische Mitte suchen. Er fürchtete sich davor, dass die Demokratie verloren gehen könnte, wie damals. Nie wieder Krieg, das war ihm wichtig. Und nie wieder nach Frankreich. Die Grenze war nicht fern. Er fand eine Frau. Sie war eine Heimatvertriebene. Seine Tochter Susanne würde auf dem Gymnasium Latein statt Französisch wählen.
Susanne II
Lehrerin wollte sie werden. Sonderpädagogin. Zum Studieren verließ sie die Enge. Diese Enge der Heimat, die die Eltern nicht mehr verlassen wollten, die etwas mit Geborgenheit zu tun hatte. Endlich frei. Freiheit für alle. Auch für die, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens standen. Politik wird gemacht, Politik muss man selbst machen. Betreiben. Aktiv sein. Zum bestandenen Examen bekam sie einen Brief vom Ministerium. Sie wurde einbestellt. Ob es stimme, dass sie Mitglied der DKP sei. Ihr ausbleibendes Nein gab ihnen eine Antwort. Die Antwort bedeutete, dass sie das Referendariat nicht antreten durfte. Auch die GEW wollte nicht dagegen klagen. Man bedaure.
Gammertinger Schreibwerkstatt
Die Schreibwerkstatt für Erwachsene (ab 16) wendet sich an alle, die erlebte oder erfundene Geschichten, Gedanken und Erlebnisse in Worte fassen wollen. Jeder trägt einen „Erzähl-Schatz“ in sich, den er in der passenden Umgebung und unter Anleitung heben kann. Wir gehen zunächst spielerisch-kreativ an das Schreiben heran. Mit Hilfe von Schreibimpulsen wird das Gedachte nach außen getragen, aufs Blatt gebannt und geformt. Gleichzeitig wird das Rüst- und Handwerkszeug zum literarischen Schreiben erprobt und verfeinert. Jeder Teilnehmer sollte seine Texte sammeln und im Laufe der Zeit wird aus leeren Seiten ein eigenes Buch mit kurzen Geschichten oder Gedichten. Die Reflexion in der Runde beflügelt zudem die eigene Produktion.
Schreiberfahrung bei den Teilnehmern wird nicht vorausgesetzt.
Gabriele Loges ist freie Autorin und Bibliothekarin, studierte Germanistik und Philosophie in Tübingen und unterrichtet seit vielen Jahren Kreatives Schreiben.
Veranstalter: Akademie Laucherttal
Leitung: Gabriele Loges
Mitzubringen: Stift und leeres Schreibbuch oder -heft
Termin: Mittwoch, 15. März, 26. April, 10. Mai und 21. Juni 2017, von 17-19 Uhr
Ort: Altes Oberamt 72501 Gammertingen, Hohenzollernstraße 11
Teilnehmer: max. zehn Personen
Anmeldung: www.akademie-laucherttal.de